Sachverhalt:
1. Rückblick Mit Beschluss vom 06.02.2018 hat der Rat die Verwaltung beauftragt, ein Konzept zur Durchführung flächendeckender Entwicklungsstandsuntersuchungen in Braunschweiger Kindergärten zu entwickeln und darzustellen, welche personelle und finanzielle Ausstattung dazu erforderlich ist. Ein solches Konzept wurde entwickelt und wird nunmehr zur Umsetzung vorgeschlagen.
Alle Kinder im Stadtgebiet Braunschweig werden im 5./6. Lebensjahr (ca. 2000 Kinder pro Jahrgang) im Rahmen der gesetzlich verpflichtenden Schuleingangsuntersuchung (SEU) flächendeckend durch Kinderärzte des Gesundheitsamtes Braunschweig untersucht. Gesetzliche Grundlage ist das Niedersächsische Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (NGöGD) vom 24. März 2006. Die Untersuchungen erfolgen standardisiert nach dem sog. Sophia-Programm. In den letzten Jahren zeigten durchschnittlich ca. 25 % bis 30 % der Kinder eine oder mehrere Entwicklungsauffälligkeiten bzw. auffällige Untersuchungsbefunde, die von einschulungsrelevanter Bedeutung sind und zuvor nicht bekannt waren.
Derzeit ist die Zeitspanne von der SEU bis zum Schulbeginn und die damit verbundenen Herausforderungen für die Kinder, Eltern und Therapeuten für eine adäquate, hilfreiche Umsetzung einer bei der SEU ausgesprochenen Therapieempfehlung zu kurz.
Um allen Kindern möglichst gute Lebens- und Bildungschancen zu geben und insbesondere die Anzahl der Entwicklungsbeeinträchtigungen bzw. der auffälligen Befunde zum Zeitpunkt der Einschulung zu senken, bedarf es einer frühzeitigeren Feststellung der Bedarfe zu Diagnostik und Therapie. Idealerweise sollten die Kinder ein bis zwei Jahre vor der Einschulung kinderärztlich untersucht werden, damit entsprechende Therapieangebote und Hilfen so rechtzeitig installiert werden können, dass der Start in den Schulalltag möglichst wenig beeinträchtigt für alle Kinder möglich ist.
Das Thema „Kindergesundheit“ war im Juni 2018 Kernthema der Gesundheitsregion. Zur Einführung ärztlicher Kindergartenuntersuchungen in Braunschweig fand ein Workshop statt, an dem sich Kindergartenleitungen, Jugendamt, Elternvertreter aus dem Bereich Schule und Kindergarten, niedergelassene Ärzte sowie weitere mit dem Thema Kindergesundheit assoziierte Institutionen beteiligt haben. Bedarfe, Defizite und Umsetzungsmöglichkeiten wurden diskutiert und festgehalten. Die Erkenntnisse aus dem Workshop sind in die Planungen des Konzeptes mit eingeflossen.
Die Stadt Braunschweig hat sich an dem Modellprojekt Kontextcheck der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V. beteiligt. Im Rahmen von Kontextcheck erfolgten Interviews zur Kindergesundheit in den Kindertagesstätten, sowohl mit Erzieherinnen und Erziehern als auch mit Eltern. Die Erkenntnisse von Kontextcheck sind ebenfalls bei der Planung des hier in Rede stehenden Konzeptes einbezogen worden.
Das Projekt PIAF® aus dem Landkreis Hildesheim wurde durch die zuständige Kinderärztin vom Gesundheitsamt Hildesheim in einer Sitzung der Steuerungsgruppe Gesundheitsregion Braunschweig vorgestellt. Das Projekt greift die Erkenntnis auf, dass nicht erkannte Entwicklungsbeeinträchtigungen kleiner Kinder zu Lebensbeeinträchtigungen von großen Kindern führen. Die Konzeptgestaltung für Braunschweig greift auf positive Erfahrungen von PIAF® zurück, wobei offenbleibt, wie umfangreich PIAF® in Braunschweig tatsächlich im Verlauf der folgenden Jahre eins zu eins umgesetzt wird. Hierfür bleiben die Erfahrungen, die in Braunschweig in der Anfangszeit gewonnen werden, abzuwarten.
2. Gesetzliche Grundlagen Die gesetzliche Grundlage ergibt sich aus § 5 des Niedersächsischen Gesetzes für den öffentlichen Gesundheitsdienst (NGöD) vom 24. März 2006. Dort heißt es zur Kinder- und Jugendgesundheit: „Die Landkreise und kreisfreien Städte schützen und fördern besonders die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Dazu sollen sie insbesondere gemeinsam mit Tageseinrichtungen für Kinder und Schulen zielgruppen- und lebensraumsbezogen auf die Prävention und auf eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hinwirken.“
3. Konzept zur Umsetzung Ziel ist die Erkennung schulrelevanter Entwicklungsschwierigkeiten und frühzeitige Einleitung erforderlicher Diagnostik und Fördermaßnahmen, ca. 1,5 bis 2 Jahre vor der Einschulung. Im Zentrum der ärztlichen Untersuchung stehen Sprache, Grob- und Feinmotorik, die sozioemotionale Entwicklung sowie die Sinnesfunktionen Hören und Sehen. Psychosoziale Risikosituationen sollen frühzeitig erkannt und entsprechend Hilfen an Kind und Familie vermittelt werden.
In der Vorbereitung der Konzeptentwicklung ist eine enge planerische Zusammenarbeit mit dem Jugendamt entstanden. Die Untersuchungen in den Kindergärten sollen in Familienzentren und in Stadtteilen mit besonderem Handlungsbedarf beginnen. Die im Entwurf des Stellenplans für 2019 vorgesehenen Stellen sind ausgelegt für die Untersuchung von 250 Kindern. Entsprechend viele Familienzentren werden über das Jugendamt für die ersten Kindergartenuntersuchungen gewonnen. Die Untersuchungen selbst werden in enger Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen in den Kindertagesstätten, den Eltern, dem Jugendamt und dem Team des Gesundheitsamtes erfolgen. Zentral ist eine gute Information der Eltern im Vorfeld über zum Beispiel Elternabende.
Untersuchungsablauf: Die Untersuchung des Kindes erfolgt im Kindergarten. Der Ablauf ist dem der Schuleingangsuntersuchung angeglichen. Pro Tag können etwa fünf Kinder untersucht werden. Die Untersuchungen selbst nehmen ca. 30 Minuten für Seh- und Hörtest und ca. 45 Minuten für die ärztliche Untersuchung in Anspruch. Weil das Kind von zwei Untersuchern untersucht wird, entstehen dazwischen „Erholungsspielpausen“, die sinnvoll sind.
Vor der Untersuchung findet ein Austausch mit der Erzieherin/dem Erzieher statt. Die Anwesenheit der Eltern bei der Untersuchung ist ausdrücklich erwünscht. Eine Hospitation durch Bezugserzieherin/-erzieher bei der Untersuchung ist mit elterlicher Zustimmung gern gesehen. Die Anwesenheit der Sozialpädagogin und Erzieherin ist sehr sinnvoll – auf eine entsprechende Zustimmung der Eltern soll hingewirkt werden. Nach Abschluss der Untersuchung soll ein ca. 15-minütiges Eltern-Sozialpädagogin-Ärztin-Erzieherin-Gespräch stattfinden.
Sofern kontrollbedürftige oder interventionsbedürftige Befunde erhoben werden, erhalten die Eltern einen Brief über die erhobenen Befunde, eine entsprechende Beratung und zudem einen Dokumentationsbogen zur Weitergabe an den Kinderarzt. Die Umsetzung der Empfehlungen soll nachgehalten werden: im Idealfall erhält das Gesundheitsamt Ergebnisse über erfolgte Therapie oder andere Unterstützungsmaßnahmen. Wenn gewünscht, kann die Familie bei der Einleitung weiterführender Maßnahmen sozialpädagogisch begleitet werden.
4. Personelle Auswirkungen: Drei Stellen für eine Kinderärztin, eine Sozialpädagogin/Sozialpädagogen und eine Medizinische Fachangestellte bzw. einen Medizinischen Fachangestellten sind im Entwurf für den Stellenplan 2019 vorgesehen, jeweils mit 19,5 Stunden. Zur Umsetzung in den städtischen Kindertagesstätten ist an bis zu fünf Kita-Standorten der Einsatz einer zusätzlichen Erzieherin/eines zusätzlichen Erziehers mit jeweils 19,5 Std. sowie der Einsatz einer zentral koordinierenden Fachberatung mit 19,5 Stunden im FB 51 vorgesehen.
5. Evaluation Das Projekt ist zu evaluieren. Aufschlussreich wird es sein, wenn im Kindergarten untersuchte Jahrgänge bei der Schuleingangsuntersuchung ärztlich gesehen werden. Dann wird zu beurteilen sein, ob mit zwischenzeitlicher Förderung und Therapie eine Senkung der Rate von Entwicklungsauffälligkeiten erreicht werden kann.
Realistischerweise ist mit einer Stellenbesetzung und Start des Projektes frühestens nach den Sommerferien 2019 zu rechnen. Die Jahre 2019 und 2020 dienen der Evaluation. Zur Umsetzung in dieser Evaluationsphase werden ausschließlich städtische Kindergärten beteiligt. Inwieweit das Projekt über 2020 fortgeführt wird, bleibt der Evaluation vorbehalten.
6. Finanzielle Auswirkungen: Der erforderliche Sachaufwand wie Dienstreisen, Fahrtkosten und Büromaterial ist derzeit nicht genau bezifferbar, ist abhängig vom Untersuchungsumfang und wird auch im Rahmen der Evaluation zu ermitteln sein. Derzeit erfolgt eine Deckung durch das Budget der betroffenen Fachbereiche 50 und 51.
Beschluss: Die Durchführung ärztlicher Kindergartenuntersuchungen durch das Gesundheitsamt ab 2019 soll entsprechend des dargestellten Konzepts ab 2019 starten.
Anlage/n: keine
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